Ein Versuch Gletschereis per Staffellauf von den Alpen nach Rom zu bringen
»... vas petitur in nubila caeloque proximae rupes cavantur, ut bibatur glacie.«
Plinius der Ältere, 79. n.Chr.
Letzten Sommer in einer Eisdiele gewesen? Aufmerksam die Eiskarte studiert und nach der Bestellung noch die Angaben zur Geschichte des Speiseeises gelesen? Eventuell gelesen, dass schon vor 2000 Jahren 'Kaiser Nero sich von ausgewählten Sklaven im Stafettenlauf Gletschereis aus den Alpen nach Rom bringen ließ'? Wahrheit? Legende? Unmöglich? Wir wissen doch, dass Kaiser Nero 'verrückt' war, also könnte es doch stimmen? Hat der Layouter von Eisdiele XY nur abgschrieben von Eisdiele YX oder kann es möglich sein, dass Läufer vor 2000 Jahren so schnell laufen konnten, dass sie in Rom ankamen, bevor das Eis in ihrem Gepäck geschmolzen war? Wenn es vor 2000 Jahren möglich gewesen ist, dann sollten wir dies im 21. Jahrhundert auch hinbekommen. Einfacher Plan: Eis aus den Alpen holen, schnelle Läufer auf den Weg nach Rom schicken und abwarten. Ein einfacher Plan und kein Problem neun motivierte Langstreckenläufer zu finden, die eben dies ausprobieren wollen...
Gletschereis muss es natürlich sein und so machen wir uns im August auf zum Mont Blanc, schlagen mit einem Eispickel Gletschereis auf einer Höhe von 2000 m und los geht das Wettrennen. Verpackt in einer großen Thermoskanne (ok, die gab es damals noch nicht) in einem Rucksack (ok, den gab es damals auch noch nicht) und ab entlang von Wanderwegen und asphaltierten Nebenstraßen (ja, die gab es damals auch noch nicht) in Richtung Rom (gab es damals schon). So gesehen sind wir logistisch deutlich besser aufgestellt als vor 2000 Jahren. Wenn wir es nicht schaffen das Eis nach Rom zu bringen, dann kann dies vor 2000 Jahren auch nicht gemacht worden sein. Selten gab es in den letzten Jahren so motivierte Staffelläufer, die Tag und Nacht rennen, auf kleinen Wegen durch die Toskana oder in der Nacht durch menschenleere Industriegebiete aber auch besser besuchte Rotlichviertel. Soviel muss festgestellt werden, die Infrastruktur in Italien heutzutage ist nicht auf nonstop-Staffelläufe ausgelegt.
Auf den letzten Kilometern vor den Stadtgrenzen Roms wird die Staffel zu einem wahren Wettrennen. Nach drei durchlaufen Tagen und Nächten ist nur noch ein kleiner Eiswürfel in dem Thermogefäß vorhanden. Die spätsommerliche Hitze in Italien und die ständige Bewegung hatten den ein Kilogramm schweren Eisblock fast komplett aufgetaut, doch bis wenige Stunden vor dem Kolosseum in Rom war noch noch ein leises 'klong-klong' im Rucksack zu hören. Doch nach 78 Stunden und 960 gelaufenen Kilometern, entsprechend einer Geschwindigkeit von 12,3 km/h oder einem Mittel von 4:52 min/km wird es Gewissheit: wir waren zu langsam. Im Thermogefäß befindet sich nur noch Wasser, zwar noch kalt - aber ohne Eis. Ja, wir hätten im Winter laufen können, dann hätten wir wahrscheinlich gewonnen. Aber wer möchte im Winter schon Eis essen...
Was bedeuted dies nun für die Legende aus unserer Eiskarte? Nun, dass mit den Alpen kann kaum stimmen. Wenn wir es auf den heutigen gut ausgebauten Straßen schon nicht geschafft haben, wie soll dies vor 2000 Jahren der Fall gewesen sein? Schwierig ist es auch, die Originalquelle für das heutzutage immer wieder kopierte Zitat von Nero, seinen Sklaven und dem Eis aus den Alpen zu finden. Es war wohl eher 'der Appenin' gemeint als 'die Alpen'. Aber das mit dem Appenin macht natürlich nicht soviel her und es klingt doch auch viel toller, wenn das Eis aus den Alpen nach Rom gebracht wurde. So bleibt die Legende bestehen und es wird auch weiterhin in Eisdielen verkündet werden, wie Kaiser Nero seine Sklaven zu übermenschlichen Leistungen antreiben konnte...
Jahr | September 2007 |
Distanz | 1000 km |
Dauer | 78 Stunden |
Ort | Italien |
Route | Mont Blanc - Aosta-Tal - Po-Ebene - Appeninen - Toscana - Rom |
Team | Frank Hülsemann, Max Ehlers, Thomas Mauel, Markus de Marées, Sven Schultz, Ulf-Enno Uteg, Hermann Ulrich, Klaus Eistert, Klaus Müller |