Der Versuch etwas Unbelegbares zu belegen
Unterwegs zum Ojos del Salado
Lokales Interesse an der Rohloff-Speedhub-Nabe
Start am Pazifik
Die ersten 100 km auf Asphalt
sandige Pisten bei 4000 m
die Höhe fordert ihren Tribut
den Gipfel des Ojos im Blick (5800 m)
Auswertung der GPS-Daten
Alle zusammen: Beto, Frank, Markus, Heike, Andre, Sonja
Mit Rekorden ist es so eine Sache. Denn es ergeben sich Probleme, wenn man sich in ein Gefilde begibt, wo das 'Messen' und 'Belegen' schwierig wird. Zum Beispiel, wenn man auf über 6000 Meter über dem Meer mit dem Fahrrad fahren will. FAHREN - nicht schieben oder tragen. Manch einer stellt die Frage, wieso man das überhaupt machen sollte? Nun, weil bis dato noch keiner belegt hat, dass man mit einem Fahrrad von Meereshöhe durchgehend bis auf eine Höhe von 6000 Metern über dem Meer FAHREN kann. Denn kann man dies überhaupt? Und was ist letztendlicher der limitierende Faktor: die dünne Luft, fehlende Wege oder zu große Steigung? Und genau diese Frage zu beantworten reizte uns: 'Wie hoch können wir mit einem Fahrrad fahren?' Darin steckt ein kleiner aber entscheidender Unterschied zu: 'Wie hoch kann ich mit mein Fahrrad kommen (schieben/tragen)?' oder: 'Auf welcher Höhe kann ich noch Fahrrad fahren?'
Um unsere Frage zu beantworten bedurfte es an einigem Aufwand. Als vermeintlich geeigneten Berg entschieden wir uns für den Ojos del Salado in Chile, 6893 m hoch und nur ungefähr 350 km vom Pazifik entfernt. Drei Fahrer, drei Begleiter, fünf Wochen Zeit, der größte Teil für die Höhen-Akklimatisation. Dies war der Plan. Unmengen an Wasser, Sprit für die Begleitfahrzeuge und gefriergetrocknetem Essen. Vor Ort gewannen wir Erkenntnisse über die Schönheit der südamerikanischen Anden aber auch über Langeweile im Camp und die mangelnde Teamfähigkeit und Egotrips eines Teilnehmers. Trotz aller Widrigkeiten starteten wir Ende März 2010 dann den Versuch am Ojos del Salado ein Höhe von 6000 Meter und mehr fahrend zu erreichen. Resultat des ganzen Aufwandes war ein Bild eines Fahrradlenkers mit zwei GPS-Geräten, einer Höhenangabe von 6085 Metern auf S 27°5.653' und W 68° 32.650'. Unzweifelhaft handelt es sich hierbei um die erweiterte Gipfelregion des Ojos del Salado. Das Erreichen dieses Punktes war schon schwierig genug, noch schwieriger allerdings war es ein durchgehendes FAHREN zu belegen. Denn, wie definiert man genau 'Fahren'? Und wie können wir dies messtechnisch belegen?
Eine Definition von 'Fahren' ist: 'ein Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte [...] in Bewegung zu setzen und [...] eigenständig durch den Verkehrsraum zu führen' [Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 315c Rn. 3a]. Oder genauer definiert: 'Kennzeichnend für das Führen eines Fahrzeugs ist, dass ein eigenständiger Bewegungsvorgang des Fahrzeugs ausgelöst worden ist, was bei einem Fahrrad dann anzunehmen ist, wenn sich Fahrer und Fahrrad zusammen bewegen und der Bodenkontakt mit beiden Füßen zumindest insoweit gelöst ist, dass das Fahrrad nicht nur beim Gehen geschoben wird.' [VGH München, vom 21. März 2016] Um solch eine Bewegung zu belegen dienen uns GPS-Geräte als Messinstrumente, welche jede Bewegung des Fahrrades aufzeichneten. Leider gibt es bei solchen Aufzeichnungen ein Problem: die GPS-Geräte legen Daten beim Anfahren oder Anhalten an, denen reell (noch) keine (oder keine mehr) physische Fahrbewegung zu Grunde liegt. Nach Bereinigung des Datensatzes im Nachhinein am Computer um diese Daten zeigte sich folgendes Problem: in einer Zone um 5305 Meter über dem Meer konnte keine eindeutige Fahrbewegung dokumentiert werden. Es handelt sich hier um eine extrem sandige Passage nach der Refugio Atacama, in der wir Stunden verbrachten mit Versuchen anzufahren. Hierbei waren wir zwar im Sattel, und drückten das Mountainbike bei den Anfahrversuchen immer wieder etwas nach vorne, bis wir endlich wieder in der Lage waren selbständig anzufahren. Doch konnten die GPS-Geräte keine eigenständige Bewegung des Mountainbikes registrieren, welche nämlich mit der Steigung korreliert. Es wurden nur zufällig verteilte Datenpunkte erzeugt, welchen keine eigenständige Fortbewegung (laut Definition) zu Grunde lag. Somit ließen wir hier eine kleine, erste undokumentierte Lücke zurück. Danach waren wir wieder in der Lage weiterzufahren, grötenteils durchgehend bis auf eine Höhe von 5980 Metern, wo die letzten wirklichen Fahrbewegungen per GPS nachgewiesen werden können. Danach verlieren sich alle Mühen in Versuchen im Sattel durch Anfahrversuche an Höhe und Raum zu gewinnen. Im Übrigen erwies sich eine Auswertung der Trittfrequenz-Sensoren des Garmin Edge 705 als noch unsesibler als die GPS-Funktion und konnte daher nicht sinnvoll in eine Dokumentation eingebunden werden.
Wie von unserem Protagonisten letztendlich die Höhe von 6085 Metern wirklich erreicht wurde bleibt messtechnisch unklar, zudem dieser zu jenem Zeitpunkt nur noch alleine unterwegs war. Demnach lag die Höhe, die wir am Ojos del Salado durchgehend vom Meer fahrend erreichen konnten, 'nur' bei ca. 5305 Metern, und damit deutlich unterhalb unseres Zieles. Ironischerweise hatte wir bereits drei Wochen früher, im Rahmen der Akklimatisation, am Vulkan Sairecabur in der Nähe von San Pedro de Atacama, fahrend ein Höhe von 5750 Metern erreicht. Es ist davon auszugehen, dass dieser Punkt am Sairecabur häufiger per Mountainbike erreicht wird, da wir selber dort ältere Reifenspuren sahen. So gesehen hätten wir uns den ganzen Aufwand am Ojos del Salado also sparen können. Nichts destrotrotz war die Fahrt zum Ojos del Salado ein Erlebnis und auch in der jüngeren Vergangenheit wurde immer wieder versucht den Ojos del Salado zum Beispiel mit einem fatbike oder sogar per ebike zu bezwingen. Nach Auskunft der Fahrer bzw. deren Dokumentationen scheiterten aber alle Versuche einer durchgehenden Fahrt an der Sandpassage nach der Refugio Atacama. Was ist also der limitierende Faktor, wenn es darum geht so hoch wie möglich durchgehend mit einem Fahrrad zu fahren? Es ist der schlechte Untergrund (Refugio Atacama, 5305 m, Ojos del Salado) bzw. das Ende einer fahrbaren Piste (Sairecabur, 5750 m).
Jahr | März/April 2010 |
Distanz | 320 km, ca. 6000 Höhenmeter |
Dauer | 5 Wochen (inklusive Akklimatisation) |
Ort | Atacama-Wüste, Chile |
Route | Pazifik - Copiapo - Salar de Maricunga - Refugio Tejos - Ojos del Salado |
Team | Frank Hülsemann, Markus de Marées, Andre Hauschke, Heike Rössler (Begleitung), Sonja Küffer (Begleitung), Alberto Silva (Begleitung) |